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Arbeitsstand zu den Methoden rvSU
#4
Kommentar zu 8.7.2 Ableitung der zu erwartenden und abweichenden Entwicklungen des Endlagersystems (§ 7 Abs. 6 Nr.1 EndlSiUntV)
 
Um den Kommentar zu verstehen, muss etwas ausgeholt werden. Als Naturwissenschaft ermöglicht Geologie Erklärungen und Vorhersagen. Erklärungen beziehen sich auf das, was in der Vergangenheit geschehen ist. Diese Erklärungen enthalten ein gewisses Maß an Unsicherheit. Mit dem Wissen aus Erklärungen (Verstehen eines Sachverhaltes zusammen mit der Dokumentation der vorhandenen Unsicherheit) werden dann Vorhersagen über die Zukunft gemacht. Zum Beispiel nutzt die Suche nach Lagerstätten Erklärungen der Vergangenheit.
Alle notwendigen Voraussetzungen für die Bildung einer Lagerstätte können beschrieben und erklärt werden. Alle verfügbaren Daten können ausgewertet werden, ob sie Hinweise für eine solche Lagerstätte an einem bestimmten Ort liefern. Wie gut diese Auswertungen, Interpretationen und Erklärungen sind, kann daran abgelesen werden, wie oft wirklich das gefunden wurde, wonach gesucht wurde (Tipp: mehr Misserfolge als Erfolge).
 
In den klassischen Naturwissenschaften können Dinge vorausgesagt werden: Gesetzmäßigkeiten lassen sich experimentell überprüfen. Eine Ursache und die Auswirkung daraus lassen sich mehr oder weniger direkt beobachten, beschreiben, definieren. Experimente lassen sich beliebig wiederholen und ergeben immer das vorausgesagte Resultat. Bei einer chemischen Reaktion ist es egal, wie das Reagenz hergestellt wurde, solange es die erforderten Eigenschaften besitzt.
 
Die Geologie kann das nur eingeschränkt. Sie kann (zum Beispiel) beschreiben, welche Eigenschaften Flüsse charakterisieren, welche Überformungen von Landschaften durch Flüsse vorgenommen werden können, wie Ablagerungen von Flüssen erkannt werden können, und vieles andere mehr.
Geologie kann aber nicht voraussagen, was ein konkret vorhandener Fluss in Zukunft genau tun wird. Stattdessen kann die Geologie Vorhersagen machen, was der Fluss in Zukunft tun könnte.
(Das kann ziemlich erschreckend sein.)
 
Kenntnisse darüber, wie eine Lagerstätte entsteht, ermöglichen keine Aussagen über die Zukunft, wie zum Beispiel, dass sich in den nächsten 20 Millionen Jahren in einem bestimmten Gebiet eine bestimmte Lagerstätte bilden wird.
 
Vorhersagen zur Lösung von Umweltproblemen (Klimakrise, Hochwasserschutz, Lokationen von Deponien, Suche nach einem Endlager, usw.) zielen auf eine Erklärung der Zukunft. Dabei werden Erkenntnisse aus der Vergangenheit interpretiert, um Zustände auf der Erde zu einem zukünftigen Zeitpunkt vorherzusagen.
(Deichschutzprogramm, Einlagerung von Problemabfall in Salzstöcken)
 
Als Ergebnis gibt es eine Vielzahl möglicher Zustände. Eine Prognose, welcher dieser vielen möglichen Zustände wahrscheinlicher ist, als ein anderer, hat nur einen sehr eingeschränkten Nutzen Es kann nicht nachgeprüft werden, ob die Vorhersage gültig ist. Alles, was gewusst wird ist: Sie trifft irgendwann in der Zukunft ein, oder auch nicht.
Dies ist eine schwache Basis für eine verbindliche Handlungsanleitung.
 
Zusammengefasst: Als Naturwissenschaft ermöglicht Geologie Erklärungen und Vorhersagen. Erklärungen beziehen sich auf das, was in der Vergangenheit geschehen ist. Es gibt zwei Arten von Vorhersagen.
Die eine Art bezieht sich auf das, was man meint, dass es in der Vergangenheit an einem bestimmten Ort geschehen ist. Diese Vorhersagen können nachgeprüft werden. Damit kann die Zuverlässigkeit der einzelnen Vorhersagen ermittelt werden. Dies bildet die Basis für gültige Handlungsempfehlungen.
Die andere Art bezieht sich auf das, was man meint, dass es in der Zukunft an einem bestimmten Ort geschehen wird. Das kann alles Mögliche sein. Die Gültigkeit von Handlungsempfehlungen kann erst nachgewiesen werden, wenn eines dieser vielen möglichen Ereignisse eingetreten ist. Möglicherweise passiert dies nie.
 
Sowohl im Konzept, als auch in der referenzierten Anlage 1 Kapitel 8.2 (Seiten 456 – 511) wird beschrieben, wie die Anforderung der EndlSiUntV umgesetzt werden sollen, die verlangt, dass detaillierte Prognosen erstellt werden sollen. Abbildung 170 unterscheidet zwischen Plausiblem Auftreten und Nicht auszuschließendem Auftreten (jeweils in einer voraussichtlichen Ausprägung und einer möglichen Ausprägung), was zu „zu erwartenden Entwicklungen“ und „abweichenden Entwicklungen“ führt.
Die Resultate sollen das jeweilige Sicherheitskonzept optimieren.
 
Auf Blatt 462 in Kapitel 8.2.2 Einleitung – Entwicklungen des Endlagersystems wird dokumentiert: „Da eine Angabe von statistischen Wahrscheinlichkeiten für z. B. das Auftreten von Prozessen selten tatsächlich möglich ist, wird so explizit ein Rahmen für begründete Experteneinschätzungen geschaffen.“
Es ist unklar, in welchen seltenen Fällen eine Angabe von statischen Wahrscheinlichkeiten für das Auftreten von Prozessen, wie sie hier im Fokus sind, möglich ist. Nach dem jetzigen Verständnis der Geowissenschaften kann dies nie der Fall sein. Es gibt nicht nur zu viele Variablen, die Erde als System reagiert komplex.
Es ist nicht erklärt, wie „so explizit ein Rahmen für begründete Experteneinschätzungen geschaffen“ wird, oder was genau der Inhalt dieser Einschätzungen sein wird.
„Die Optimierung basiert vorrangig auf den zu erwartenden Entwicklungen, ergänzend auf den abweichenden. Die hypothetischen Entwicklungen, die in Phase II erstmals abgeleitet werden, werden nur nachrangig in die Optimierung einbezogen.“
 
Basierend auf dem jetzigen Verständnis der Geologie kann sich eine Vielfalt von möglichen Entwicklungen vorgestellt werden. Das Kapitel in Anlage 1 bietet dazu leicht verständliche Beispiele.
 
Dabei kann der Eindruck eines katastrophalen Versagens entstehen.
 
Hier könnte eine Darstellung des Kontextes hilfreich sein. Bei dem Endlager handelt es sich um eine (verglichen mit anderen Betrieben) sehr kleine Anlage. Durch die Umsetzung der Vorgaben des StandAG kann auch nichts anderes als ein begrenzter lokaler Schaden entstehen.
In direkter geografischer Nähe (den Nachbarländern mit dem gleichen Problem) wird es ähnliche Anlagen geben, über die Deutschland keinerlei Kontrolle hat.
Wenn der schlimmste anzunehmende Schaden eintritt (ein unkontrollierter Eintritt von gesundheitsschädlichen Nukliden in die Biosphäre) kann es sein, dass dann schon keine Menschen mehr da sind, um dies wahrzunehmen.
Falls welche da sein sollten, dann sind die vielleicht dabei, Endlager zu öffnen, weil sie wissen, wie sie den Abfall als Rohstoff für wirtschaftliche Prozesse nutzen können. (Beispiele zur Exploration in Abraumhalden gibt es auch aus der Geschichte des Bergbaus in Deutschland.)
 
Wer sich die Änderungen im Wissenstand der Geowissenschaften über den Zeitraum der letzten 200, 100, 50 Jahren anschaut, wird erstaunt sein, was sich alles geändert hat. (Vor 60 Jahren war die Plattentektonik eine esoterische akademische Theorie.)
Es gibt keine Grundlage dafür, anzunehmen, dass diese Weiterentwicklung der Geologie jetzt im Wesentlichen aufhört, weil alles Notwendige so ziemlich sicher gewusst wird. Zu jedem Zeitpunkt in der Vergangenheit bestand die Gewissheit, so ziemlich alles Notwendige ziemlich sicher gewusst zu haben.
Die Qualität von Prognosen dazu, was in Zukunft geschehen wird, war jedoch in der Regel unbefriedigend. Im direkten Bezug kann sich die Geschichte des Betriebes des Bergwerks Asse von 1894 bis heute durchgelesen werden.
 
Fußnote: Gerade in der Geologie gab es oft eher Bewahrer falscher Ansichten, als Anerkennung notwendiger Veränderungen. Eine schöne Illustration bietet Roy Livermore (2018): The Tectonic Plates are Moving! Oxford University Press. (Es gibt natürlich keine tektonischen Platten, es ist die Tektonik, die „plattenartig“ ist.)


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RE: Arbeitsstand zu den Methoden rvSU - von MartinW - 06.04.2022, 14:34

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